Alumni-Karrierewege: Porträtreihe
Dr. Adrian Robanus
Fach: Neuere Deutsche Literaturgeschichte | Heute: Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Forschung) am Kleist-Museum in Frankfurt (Oder)
Welche drei Dinge fallen Ihnen spontan zu Köln ein?
- Die Kölner Philharmonie: eine Konzerthalle mit ausgezeichneter Akustik, in der erstklassige Musiker*innen aus aller Welt auftreten – die aber einen grundlegenden Konstruktionsfehler hat: Während der Konzerte muss der Platz darüber bewacht werden, damit nicht die Tritte der Spaziergänger*innen die Konzerte stören.
- Das Schokoladenmuseum, in dessen Nähe ich lange gewohnt habe: ein Denkmal für süße Gaumenfreuden (Schokoladenbrunnen!), aber auch Relikt eines unkritischen Umgangs mit der eigenen kolonialen Vergangenheit.
- Karneval: Hier darf man alles – außer man übertreibt es aus Kölner Sicht. Man sollte lieber nicht Düsseldorfer*in oder ein zu unheimlich lachender Joker (nach dem Film mit Joaquin Phoenix) sein. Auch das Wort „F******g“ sollte nicht fallen.
Warum haben Sie an der Philosophischen Fakultät der Uni Köln studiert?
Die a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne bot mir exzellente Bedingungen für die Promotion: interdisziplinäre Vernetzung, viele weitere Entfaltungsmöglichkeiten (zum Beispiel die Kuration einer Ausstellung) und ein dreijähriges Vollstipendium. Zudem hat die Kölner Germanistik einen hervorragenden Ruf und ich fand mit dem Spitzenforscher Prof. Dr. Nicolas Pethes hier den idealen Doktorvater, fachlich wie persönlich.
Was sind Ihre Stärken als Geistes- und Kulturwissenschaftler?
Ich kann die Welt multiperspektivisch sehen. Das Bewusstsein, dass mein eigener Standpunkt relativ ist, ermöglicht es mir, mich in andere Blickwinkel hineinzuversetzen. Im Studium und während der Promotion habe ich mir den Ruf erarbeitet, eloquent zu sein – sicher als Resultat der vielen Diskussionen bei Seminaren, Kolloquien, Tagungen und bei der Verteidigung meiner Dissertation. Ich bin in der Lage, interdisziplinär zu denken. Insbesondere in der Kölner Germanistik habe ich ein kritisches Bewusstsein für die Machtstrukturen entwickelt, die Institutionen zugrunde liegen. Das erleichtert es, überkommene institutionelle Ordnungen behutsam zu erneuern. Außerdem gewann ich einen hohen Grad an Verständnis für die medialen Bedingungen von Wissensproduktion. Summa summarum: Multiperspektivität, Eloquenz, Interdisziplinarität, Institutionenkritik und Medienreflexion zähle ich zu den größten Stärken, die ich als Germanist und Historiker entwickelt habe.
Haben Sie sich Ihren Berufsweg in diesem Maße vor Ihrem Studium so vorgestellt?
Als Jugendlicher wollte ich Konzertpianist werden. Das wäre sicher ein steiniger Weg gewesen. Jetzt genieße ich es, mir in meiner Freizeit Stücke wie Beethovens ›Grande Sonate Pathétique‹ zu erarbeiten. Mit Beginn des Studiums 2006 war für mich dann früh klar, dass ich eine akademische Laufbahn einschlagen möchte. Was ich nicht wusste, war, wohin genau diese mich führen würde. Ich dachte eher an den klassischen Weg zur Professur. Dass ich jetzt eine entfristete Vollzeitstelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Stiftung Kleist-Museum ausfüllen darf, ist auf viele glückliche Zufälle zurückzuführen – und zeigt mir, dass es möglich ist, auch außerhalb Academias seinen Platz als Germanist zu finden und trotzdem weiter inhaltlich zu arbeiten. Ein solcher Glücksfall ist allerdings mit einer gewissen räumlichen Flexibilität und Geduld verbunden. Mir ist außerdem sehr bewusst, dass ein solcher Lebensweg durch bestimmte Privilegien wesentlich erleichtert wird – etwa das Promotionsstipendium, das ich bei a.r.t.e.s. erhalten durfte.
Gab es Situationen oder bestimmte Personen, die Sie inspiriert und Ihnen im Hinblick auf spätere Berufsentscheidungen geholfen haben?
Der Geschichtslehrer meines Leistungskurses am Gymnasium in Rothenburg ob der Tauber, Klaus Weisensee, hat mir unendlich viel auf den Weg mitgegeben: kritisches historisches Wissen, Sachkenntnis und die Anstöße eines echten politischen Bewusstseins. Auch meine Deutschlehrerin im Grundkurs, Marion Engelmann, war sehr prägend für mich mit ihrer Literaturbegeisterung, ihrer Liebe zur Sprache und einem hintergründigen Humor. Vor allem aber hat mir meine Großmutter geholfen, die immer an mein Talent geglaubt und mich gefördert hat, wo sie nur konnte. Später waren meine Doktorväter Prof. Dr. Roland Borgards und Prof. Dr. Nicolas Pethes sehr prägend für mich. Ihre jeweils individuelle Art, in bester Weise ›fröhliche Wissenschaft‹ zu betreiben, inspiriert mich bis heute. Stark geprägt hat mich auch der vormalige Direktor des Internationalen Kollegs Morphomata, Prof. Dr. Günter Blamberger, insbesondere die Begeisterung für Kleist und die spezielle Liebe zur Lyrik haben mich angesteckt. Natürlich waren noch viel mehr Menschen in meinem beruflichen und privaten Umfeld wichtig für meine Berufsentscheidungen, aber eine möchte ich hier noch herausstellen: Anke Pätsch, Direktorin der Stiftung Kleist-Museum, die mir letztes Jahr die Chance gab, mich in einer geteilten Stelle als Diversity-Agent und Kurator einer partizipativen Ausstellung zu Kleist zu entwickeln. Ich denke, nie bin ich in kürzerer Zeit mehr über mich selbst hinausgewachsen als durch diese Herausforderung und Möglichkeit. Im Bewusstsein meiner Privilegien als ›weißer‹ Akademiker habe ich die Verantwortung sehr ernst genommen, die zur Verfügung stehenden institutionellen Ressourcen zu teilen und den Menschen aus der migrantischen Stadtgesellschaft in Frankfurt (Oder) zuzuhören, um herauszufinden, wie das Kleist-Museum ein Ort für sie werden kann. Für diese once in a lifetime-Gelegenheit bin ich sehr dankbar.
Was würden Sie heute als Student anders machen?
Ich würde über A2 hinaus kontinuierlich Italienisch-Kurse belegen und Altgriechisch lernen. Gerade für letzteres hat man vermutlich erst wieder im Rentenalter Zeit und Muße. Ich würde (noch) weniger feiern, mehr Musik machen, am liebsten komplett abstinent vom Alkohol bleiben (und die zusätzlich gewonnene Energie in ein Philosophie-Studium investieren), außerdem nach dem Erasmus-Jahr in Cambridge noch ein zweites Auslandssemester machen, etwa in Polen. Ich würde früher beginnen, vorzutragen, und publizieren, wann immer es möglich ist: bei Essay-Wettbewerben, studentischen Tagungen, in Kolloquien und Nachwuchsnetzwerken. Ich würde mir ein Clavinova für mein Wohnheimzimmer kaufen und dem Klavier ohne Unterbrechung treu bleiben, den nicht verpflichtenden Kurs zur Handschriftenlektüre besuchen und schon während des Studiums lernen, fließend Currentschrift und Sütterlin zu lesen. Und schließlich, vielleicht am wichtigsten: Ich würde viel mehr Praktika, Hospitanzen und andere Gelegenheiten wahrnehmen, um viele Erfahrungen in den für mich denkbaren Arbeitsfeldern zu sammeln.
Was macht Ihnen an Ihrem jetzigen Beruf besonders viel Freude?
Dass meine Liebe zum 18. Jahrhundert höchst willkommen ist. Dass ich meinen Lebensunterhalt damit verdienen darf, das zu tun, was mir am meisten Freude macht: mich kritisch mit Literatur und Geschichte auseinandersetzen und die Begeisterung dafür mit allen zu teilen, die sich darauf einlassen. Die Ergebnisse der eigenen Forschung an ein breiteres Publikum zu vermitteln, ist in einem Museum zentraler als an der Universität. Mir bereitet es großes Vergnügen, mir immer wieder neu zu überlegen, wie ich Themen an verschiedene Menschen mit unterschiedlichem Vorwissen vermitteln kann. Als sehr bereichernd empfinde ich auch die Arbeitsatmosphäre in meinem Beruf: Wir sind ein sehr feministisch eingestelltes Team, geschriebene und gesprochene Gendersternchen sind eine Selbstverständlichkeit für die meisten von uns geworden und wir sind stark diversitätsorientiert. Die kritische Reflexion der eigenen Museumspraxis ist im Kleist-Museum selbstverständlicher Teil der Arbeit und daher auch die zukunftsorientierte Weiterentwicklung als Institution. Natürlich gibt es immer Herausforderungen und Konflikte, wenn man sich Veränderungen in einer Einrichtung wünscht, aber insgesamt ist die Stiftung Kleist-Museum für mich schon sehr nahe an der besten aller Arbeitswelten. Daneben ist auch das Arbeiten in der Doppelstadt eine Freude für mich: Ich kann in 15 Minuten zur Arbeit laufen, mein Klavierunterricht, meine Chorproben und mein Tanzkurs finden alle in einer Gehweite von 10 Minuten vom Kleist-Museum aus statt. Als große Bereicherung empfinde ich auch das Leben an der deutsch-polnischen Grenze, zwischen zwei Sprachen und zwei kulturellen Welten: In 20 Minuten ist man vom Museum aus in Słubice.
Der etwas hymnische Ton der vorstehenden Sätze zeigt schon: Alle meine Aufgaben machen mir Freude. Aber einer der schönsten Momente meines bisherigen Berufslebens war die Vernissage der von mir kuratierten Ausstellung »Wir und Kleist?! Leben, Liebe und Glück in der Oderstadt«. Neben einem sehr vielfältigen Team von Beteiligten auf der Bühne durften wir tatsächlich ein deutlich diverser zusammengesetztes Publikum als vorher bei uns im Museum begrüßen. Einige der Besucher*innen waren auch durch ein Mitmachprojekt zur Frage nach dem eigenen Lebensglück in die Ausstellung mit eingebunden. Es hat mich berührt und glücklich gemacht, dass wir so viele neue Menschen aus der Stadtgesellschaft erreicht haben.
Welche Aufgaben haben Sie dort?
Für mehr als ein Jahr war ich 360°-Agent der Kulturstiftung des Bundes. Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich unter anderem diversitätsorientierte Veranstaltungen organisiert, eine partizipative Ausstellung kuratiert und Fortbildungsmaßnahmen für das Team organisiert, um das Kleist-Museum stärker zu öffnen, insbesondere für die migrantische Stadtgesellschaft. Mit der Mutterschutz- und Elternzeitvertretung ging diese Aufgabe zu Ende und ich bin sehr froh, dass wir nun eine aus der Ukraine stammende Kollegin haben, die das 360°-Projekt ›Kleist grenzenlos‹ weiterführt.
Meine Hauptaufgaben liegen nun in der Forschung: Redaktion und Herausgabe des Kleist-Jahrbuches, Erforschung der Geschichte der Kleist-Institutionen, insbesondere des Kleist-Museums, Vernetzung mit universitären und außeruniversitären Forschungseinrichten. Darüber hinaus nehme ich noch viele Vermittlungsaufgaben wahr, führe zum Beispiel verschiedene Gruppen durch unsere Ausstellungen. Diese Arbeitswoche sind etwa Ensemblemitglieder des Theaters Chemnitz, der interkulturelle Begegnungsortes Słubfurt und schließlich eine Gruppe des Auswärtigen Amtes zu Gast. Dazu kommt die Einwerbung von Drittmitteln für Forschungsobjekte, Ausstellungen, Tagungen und Publikationen. Auch wenn es nicht meine Hauptaufgabe ist, darf ich von Zeit zu Zeit eine Ausstellung kuratieren, wenn es sich thematisch anbietet. Nebenbei aktualisiere ich die Seite ›Kleist am Theater‹, in der wir die aktuell auf deutschen und internationalen Bühnen gespielten Kleist-Inszenierungen sammeln und bitte die Theater, uns Theatralia, also etwa Plakate, Programmhefte oder sogar Bühnenmodelle und Requisiten für unsere Sammlung zur Verfügung zu stellen. Informell bin ich auch in meiner Freizeit oft eine wandelnde Werbekampagne für das Kleist-Museum: Meine Begeisterung für Kleist und unser Haus lässt sich schwer verbergen.
Welche drei Tipps haben Sie für unsere Studierenden der Phil im Hinblick auf Ihr Studium und das spätere Berufsleben?
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Erstens: Nehmt alle Möglichkeiten wahr, praktische Erfahrungen in relevanten Berufsfeldern zu sammeln.
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Zweitens: Nutzt die Zeit, um Sprachen zu lernen und ins Ausland zu gehen. Nie wird es so viel Zeit und Ressourcen geben, um polyglott zu werden.
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Drittens: Seid leidenschaftlich und verzweifelt nicht während möglicher Durststrecken! Geisteswissenschaften sind eine Herzenssache. Man verdient mit ihnen durchschnittlich weniger als etwa mit Informatik oder Ingenieursberufen und es dauert länger, bis man eine passende Stelle findet. Aber wer dann schließlich seinen Platz in der Universität, im Museum, im Theater oder an anderen Kulturorten findet, darf sich auf ein erfülltes und vielseitiges Berufsleben freuen.